Einer muss die Brötchen backen
Während die einen backen, werden andere seelenruhig Millionäre. Dazu muss man nicht unbedingt der Gescheiteste sein, so wird gern behauptet. Der Dümmste sollte man aber auch nicht sein. Das sagt uns ganz einfach die Erfahrung. Zumindest die Einfalt sollte sich in Grenzen halten.
Voller Hingabe verkünden es die Propheten des unendlichen Wohlstands. Erfolg ist alles und so einfach. Man muss ihn nur wollen und die Eintrittskarten, das Video-Set, die Erfolgsbibel oder den Online-Kurs kaufen. Flugs werden aus Ameisen Adler, aus lahmen Enten stolze Schwäne und blasse Buchalter schippern sonnengebräunt mit ihrer Yacht über die Weltmeere. Die Kassiererin entschwebt dem Supermarkt in laue karibische Sommernächte.
Selbst schuld, wer sich abrackert statt in die kostenpflichtigen frohen Botschaften zu investieren. Über glühende Kohlen und Glasscherben soll der Weg nackten Fußes Schnur stracks in den siebten Himmel der Erfolgsliga führen. Auf dem Weg in diese Höhen wird die Luft aber immer dünner. Das zwingt ständig zur Rast, nicht selten zur Umkehr. Die meisten bleiben entwurzelt irgendwo zwischen Elend und Verheißung hängen. Das ist Salz in die Wunde der vermeintlichen eigenen Unzulänglichkeit.
Dennoch keine Sorge, wer nicht ganz oben ankommt, hat eine zweite Chance. Das Glück winkt im freien Unternehmertum. Lohnarbeitszeit gegen Geld, diese Knechtschaft gilt es hinter sich zu lassen. Der Ansatz ist nicht schlecht, aber was tun. Frisöre und Nagelstudios gibt es schon an jeder Ecke und handwerklich hat es auch nicht jeder drauf. Wie stampfe ich meinen eigenen Konzern aus dem Boden?
Bill Gates hat es doch auch geschafft und sind nicht die Google Tüftler heute gemachte Leute? Hat nicht Mark Zuckerberg seine Studentenbude in das milliardenschwere Facebook Imperium umgekrempelt? Macht uns Elon Musk nicht allen vor wie es geht, indem er uns sogar hierzulande einen Ableger in den märkischen Sand setzt?
Ok, warum auch nicht? Eine Massenbewegung entsteht aus solchen Träumen allerdings kaum. Bleibt uns noch das Franchiseglück: Tiefgekühltes direkt vom LKW in die heimischen Kühlschränke, Teeladen, Coffe-Shop, Schnellbackstube oder Waffel-Restaurant, Fitness-Studios und Body-Shops, nicht zu vergessen den Wachstumsmarkt häusliche Pflege.
Wer schon Millionär ist, gönnt sich eine McDonalds-Filiale*, wie Exboxer Henry Maske. So dick muss niemand einsteigen. In der Regel muss aber erst mal Bares auf den Tisch. Notfalls heißt es Anschreiben bei der Bank. Immer wieder gibt es mal Streit um den Begriff „Scheinselbständigkeit“. Also doch nicht das gelbe vom Ei?
Eine enge Verwandschaft besteht zum Subunternehmertum. „Sub“ klingt so anheimelnd vertrauenswürdig, so wie „Subtropen“, die gemäßgten Klimazonen dieser Erde. Und weil es so schön ist, gibt es auch noch Unternehmer unter dem Subunternehmer, nicht selten noch weitere darunter, also Sub-Sub-Sub-Unternehmer. Wer in die geheimnisvolle Welt der ewigen Baustelle Berliner Flughafen eintauchen will, befasse sich mit dieser Errungenschaft unternehmerischen Schaffens.
Gerade diese Unternehmensvariante fördert eine in der Welt der Unternehmenswelt nicht seltene ausgeprägte Phobie hinsichtlich der Zahlung existenzsichernder Löhne und Gehälter zutage. Auch die Beteiligung an der sozialen Absicherung durch angemessene Beteiligung an den Sozialversicherungsbeiträgen rauben so manchem global denkenden Wirtschaftskapitän den Schlaf.
Hat nicht ein winziges Virus das mitfühlende unternehmerisches Herz der Fleischindutrie zutage gefördert, das für die klammen Verbraucher das billige Schnitzel auf dem Teller erst möglich macht? Ohne Subunternehmer und Werksverträge: nur Müsli und Karotten auf dem Tisch?
Subunternehmertum kommt nicht in Frage? Verständlich. Künstliche Beatmung ist kein Zuckerschlecken. Letzen Endes muss der Subunternehmer beatmet werden und nicht der Bigboss.
Aber … die Hoffnung stirbt zuletzt. Und siehe da, ein weiterer Weg aus dem Jammertal tut sich auf: „Arbeiten von zu Hause aus“ verkünden die Sirenen. Die Angebotspalette ist beeindruckend. Es gibt kaum etwas, was sich nicht als eigener Chef vom Wohnzimmer aus vertreiben oder betreiben ließe. „Homeoffice“ und „Digitalisierung“. Die Begriffe quellen aus allen Münder in alle Ohren.
Was geht nicht alles von zu Hause aus. Grüner und gelber Strom, Partnervermittlung, Powerseller, sensationelle Produkte der Telekommunikation und die unentbehrlichen Produkte zur endgültigen Befreiung von schädlichen Umwelteinflüssen.
Spitzenreiter im Jobangebot ist die Nahrungs- und Wellnessbranche. Abnehmen ist das Gebot der Stunde. Immer wenn der heimische Markt abgegrast ist, schwappt der Nahrungsergänzungs- und Kosmetik-Tsunami aus den Staaten mit neuen Wundern in die übrige Welt über.
Nachdem hierzulande die Drückerkolonnen der Finanzdienstleister mit nutzlosen Produkten die heimische Bevölkerung mit dieser Vertriebsart mürbe gemacht haben, fallen jetzt die „Selbständigen Vertriebspartner“ unter dem runderneuerten Begriff „Network Marketing“ über sie her: Wer nicht sofort zugreift, dem drohen Siechtum und völlige Verelendung.
Eine blendende Geschäftsidee der Hersteller: die Vertriebspartner müssen die verheißungsvollen Produkte in der Regel für sich selber kaufen, weil sie erst dann am Provisionssegen für vermittelte Verkäufe an andere Kunden teilhaben. Damit die nicht immer auf Anhieb durchschaubaren Vergütungspläne greifen, müssen die neuen Kunden ebenfalls Vertriebspartner werden. Nicht selten ist die Bestellung des „Einstiegspakets“ zum Supersonderpreis die erste und letzte geschäftliche Aktivität des hoffnungsvollen Einsteigers.
Was sich zunächst eher negativ anhört, ist eigentlich vom Grundkonzept her gar nicht so verkehrt. Doch in der Praxis läuft das Rinnsal der Vergütungen langsam aus, nachdem die Familie und sämtliche Bekannten abgeklappert sind. Zum Chefdasein gehört neben einem ordentlichen Produkt ganz offensichtlich ein wenig mehr als nur das Einschalten des Computers und der Dauerauftrag für den Eigenverbrauch.
Seriöse Unternehmen versuchen durchaus die Vertriebspartner/innen zu unterstützen. Aber nicht alles, was für Amerika passt, ist auch hierzulande erfolgreich. Das gilt auch für die Qualifikationsprogramme. Die oft schon religiös anmutenden Trommelfeuer, „wir sind die Besten, wir haben die Besten und wir sind oder werden die Größten“ machen auch viele Gutwillige platt, zumal diese Gewissheiten von nahezu allen Glaubenskriegern hinausposaunt wird.
Haupthindernis sind aber in erster Linie die Vertriebshäuptlinge in den Strukturen. Damit sie die Füße hochlegen können, brauchen sie an der Front ständig neues Futter. Es wird also geworben (verräterischer Fachjargon: rekrutiert) auf Teufel komm raus.
Kein Spruch ist zu platt, kein Einkommensversprechen ist zu unsinnig, keine Qualifikationsanforderung zu niedrig. Keinerlei persönliche Voraussetzungen nötig: eintragen, bestellen und zwar sofort. Das sind die Parolen. Denn immer ist gerade jetzt der richtige und beste Zeitpunkt. Abgerundet werden die Desinformationskampagnen in schöner Regelmäßigkeit mit dem Holzhammer der Führungscrew, schau her ich habe es auch geschafft, Du musst nur …
Dabei wird der Nachwuchs zu Lemmingen abgerichtet. Genau so muss es angepackt werden, wie vorgegeben und nicht anders. Duplizieren nennen sie das, als der Weisheit letzter Schluss und ignorieren dabei völlig, dass jeder Mensch eine individuelle Ausnahmeerscheinung ist.
Mit dieser mörderischen Strategie ist das Scheitern der „Rekruten“ zwangsläufig vorprogrammiert. Das ist schade. Denn denjenigen, die aus dem verhängnisvollen Laufrad „Zeit gegen Geld“ tatsächlich ausbrechen wollen, bietet diese Beschäftigungsform tatsächlich eine Perspektive. Neben der sorgfältigen Unternehmens- und Produktauswahl brauchen sie dazu auch ein dickes Fell gegen das Branchengetöse. Was können Gärtner und Salat dafür, wenn der Marktschreier alles niederbrüllt.
Es ist sicherlich etwas daran, dass man zur Ausübung eines Geschäfts nicht immer der Intelligenteste sein muss, der Dümmste sollte man aber auch nicht sein. Da stellen sich die Leute hin und philosophieren über die Vorzüge des passiven Einkommens und wie doof diejenigen doch seien, die ihre Brötchen auf herkömmliche Art und Weise verdienen. Damit verkünden sie pausenlos die Geschichte von der unbefleckten Empfängnis.
Irgendjemand muss ja da sein, der den Schreihälsen die Brötchen bäckt. Irgendjemand muss ihnen die Haare schneiden, Cappuccino und Filetsteak servieren. Irgendjemand muss die Karossen bauen, mit denen sie durch die Gegend brettern. Es muss sich jemand finden, der den Reisejet nebst Business Class Kabine zusammenbastelt, und im Hotelgewerbe legen sich die Überflieger gern ins gemachte Bett. Ohne Asphalt auf der Straße sähen sie alt aus und noch älter, wenn kein Krankenhaus ihre Knochen zusammenflicken würde, nachdem sie den Traumwagen um den Baum gewickelt haben. Einer muss die Brötchen backen, fragt sich nur wer.
Geld aus dem Nichts schöpfen, das können und dürfen nur wenige Privilegierte, Notenbanker zum Beispiel. Der legendäre Ben Bernanke fing sich seinen Beinamen „Helikopter Ben“ ein, als er noch Chef der US Notenbank war. Er rühmte sich einst, nötigenfalls Geld mit dem Hubschrauber abzuwerfen. In Coronazeiten haben Staatslenker aller Couleur diese Idee aufgegriffen. Sie versuchen zu retten, was zu retten ist und sei es die eigene Haut.
Banken können locker immer neues Geld produzieren, einfach aus dem Nichts. Wenn aber ihre Direktoren Brötchen essen wollen, muss sie jemand backen. Da führt kein Weg dran vorbei.
Erst einmal muss jemand etwas herstellen und verkaufen, das dick macht. Dazu geht es ab in den Supermarkt und dort brauchen wir wieder die Kassiererin. Somit können sich schlecht alle Kassiererinnen mit dem „passiven Einkommen“ aus Nahrungsergänzungen und allerlei Wundermitteln in die Karibik absetzen.
Müssen sie sich deshalb in ihr Schicksal fügen? Keineswegs.
Denn eines dürfen alle, Bäcker, Frisöre, Networker … sie dürfen jederzeit ihr unschätzbares Startkapital einsetzen, auch beim Brötchen backen. Das ist das ultimative Starterpaket. Dieses Kapital kann ihnen durch keine Macht der Welt genommen werden.
Zwei Gehirnhälften hat der Mensch, sagen die Forscher. Wer beide zusammenführt und was daraus macht, ist fein raus. Vor allem wird’s was Eigenes. Vermutlich die einfachste Art der Vermögensbildung. Die kann jeden Tag, jede Sekunde beginnen. Immer und immer wieder.
Lesetipp: Vom Tellerwäscher zum Millionär